Von Roland Müller | Es sind vier Bausteine, die rein rechtlich zwar miteinander verbunden sind, aber in Folge auf ganz unterschiedliche Art und Weise für das Wohl von acht jungen Erwachsenen (vier Damen, vier Herren) sorgen: Eine private Stiftung, die ein Grundstück in der Hörder Hochofenstraße gekauft und dort ein vierstöckiges Wohnhaus errichtet hat; der Elternverein „Zusammenspiel Phoenix“ hat die acht Appartements und Gemeinschaftsflächen im Haus gemietet und an die acht erwachsenen Kinder ihrer Familien untervermietet; die Diakonie kommt als Betreuerin ins Spiel, die mit jedem einzelnen Bewohner einen individuellen Betreuungsvertrag rund um die Uhr vereinbart hat. Und dann kommt das Wichtigste ins Spiel – das „Wohnprojekt Heimspiel“.
„Ja, und“, könnte man jetzt fragen, „wo liegt das Problem?“ Antwort: „Es gibt kein Problem.“ Eigentlich. Die acht jungen Damen und Herren sind nämlich frei wie jeder Nachbar auf der Straße oder wie ihre Eltern, die ganz woanders wohnen. „Tatsächlich“, sagt Maxim Polunovsky, der für die Teamleitung der Diakonie im „Heimspiel“ verantwortlich ist, „bewegen wir uns mit der Betreuung auf Augenhöhe, leisten Hilfe zur Selbsthilfe.“ Es geht um soziale Interaktionen, die den „Heimspielern“ nicht so einfach von der Hand gehen, um andere Geschwindigkeiten in der Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen oder schlicht um die Fragen, wie lange Nudeln kochen müssen oder wie Messer und Gabel gekonnt zu nutzen sind. Die sozialpädagogische Arbeit der Betreuer zielt aber nicht auf Besserwissen oder auf Verbote, sondern will ein Trittbrett für jede Bewohnerin, jeden Bewohner schaffen, das einen freien Sprung in die Gesellschaft ermöglicht. Wenn also einer der „Heimspiel-Herren“ trotz bitterer Kälte nur mit Oberhemd und Hose nach draußen möchte, dann, so Maxim Polunovsky, „warne ich zwar vor den Minus-Temperaturen, aber verbieten kann ich das einem 26-Jährigen nicht.“ Vertrauen schaffen gehört also zu den Grundbausteinen, ohne die das „Heimspiel“ keine Punkte einfahren kann. Daher wird dann letztendlich doch die passende Winterjacke geholt.
Alle Bewohner/innen sind in einer „Werkstatt für Menschen mit Behinderung“ beschäftigt, alle beziehen Sozialhilfe, alle bezahlen ihre Miete, alle dürfen meckern und jeder dürfte auch der Diakonie den Betreuungs-Vertrag kündigen. Wie im richtigen Leben eben, darauf macht Detlef Harms, Vorsitzender des Elternvereins, aufmerksam: „Demokratische Regeln gelten überall.“ Und bei einer so großen „Heimspiel“-Familie wird sogar über die Frage „Was essen wir heute Abend?“ abgestimmt. Bei einem Stand von 5:3 gewinnt dann eben die Currywurst gegen Linsensuppe.“ Schließlich kauft die Truppe ja gemeinsam mit den Betreuern ein, füttert auch die Haushaltskasse regelmäßig. Detlef Harms: „Wir Eltern mussten und müssen alle lernen, unseren Kindern ihren Freiraum zu geben, wir müssen sie loslassen.“
Jeder Bewohner hat sein eigenes Appartement, alle acht über zwei Etagen verteilt. In der 135 Quadratmeter großen Hochparterre hat sich der allgemeine Treffpunkt etabliert, mit einem langen Esstisch, der rollstuhlgerechten Küche, einem benachbarten TV-Raum und einer großzügigen Grill-Terrasse. Hier spielt sich das Gemeinschaftsleben ab. Hier sitzen wir alle, und Maurizio fragt den Reporter: „Kennen wir uns nicht?“ – „Na, ich glaube nicht.“ – „Bestimmt nicht?“ Na, ja. Gegenüber sitzt eine Bewohnerin. Sie lacht schon seit Minuten leise in ihren rechten Arm, den sie auf den Tisch gelegt hat. „Was gefällt Euch hier am besten?“, fragt der Reporter. „Nix“, hört man aus einer Ecke. Ein Betreuer will erklären: „Wenn ein Fremder in der Runde sitzt, macht er immer zu.“ Will sagen: Dann ist er plötzlich ganz anders. Wohnkollege Moritz dagegen wird deutlicher: „Eigentlich alles.“ Sehr gut. Sabrina konkreter: „Die Ausflüge und der Urlaub.“ Über beides wird übrigens auch demokratisch abgestimmt. Dominik ist mit „Zimmer und Küche“ zufrieden. Malik erinnert sich gerne, wie sie oben im Sport- und Kreativbereich die Wände streichen durften. Sein Stolz aber gilt einem Fußballschuh, den ihm Ex-BVB-Star Jude Bellingham schenkte. Währenddessen lächelt Maurizio immer noch liebenswürdig, hat seine erste Frage aber nicht vergessen: „Kennen wir uns nicht?“ Und eine Bitte schiebt er hinterher: „Bitte nicht meinen Nachnamen schreiben, der klingt so blöde.“
Das „Heimspiel Hörde“ hat sich als Projekt einen Namen gemacht. Die Stadt hat bei der Suche nach öffentlichen Fördermitteln geholfen, die „Aktion Mensch“ hat sich mit einen beträchtlichen Zuschuss beteiligt, und der Elternverein sucht weitere Investoren für zwei Nachfolge-Modelle.